1. 5. Der völlige moralische Niedergang
Sed primo magis ambitio quam avaritia animos hominum exercebat,
quod tamen vitium propius virtutem erat.
Aber zuerst trieb der starke Ehrgeiz die Seelen der Männer mehr als die Habgier an, weil
dennoch der Fehler näher an der Tugend war.
Nam gloriam, honorem, imperium bonus et ignavus aeque sibi exoptant;
sed ille vera via nititur, huic quia bonae artes desunt, dolis atque fallaciis contendit.
Denn nach Ruhm, Ehre und Macht sehnen sich der Gute und Untüchtige gleichermaßen;
jedoch strebt es jener auf dem aufrichtigen Weg an, dieser bemüht sich durch List und
Trug, weil ihm gute Eigenschaften fehlen.
Avaritia pecuniae studium habet, quam nemo sapiens concupivit:
Habsucht besteht im Streben nach Geld, welches kein Weiser begehrte:
Ea quasi venenis malis inbuta corpus animumque virilem effeminat,
semper infinita, insatiabilis est, neque copia neque inopia minuitur.
Diese verweichlicht Körper und Seele der Männer als seien sie von schlechtem Gift ge-
tränkt, sie ist immer immer grenzenlos und unersättlich, sie wird weder durch Überfluss
noch durch Not verringert.
2. Sed postquam L. Sulla armis recepta re publica bonis initiis malos eventus habuit,
rapere omnes, omnes trahere, domum alius, alius agros cupere,
neque modum neque modestiam victores habere,
foeda crudeliaque in civis facinora facere.
Nachdem L. Sulla nach der Eroberung des Staates durch Waffengewalt trotz guter
Anfänge ein schlechtes Ende gefunden hatte, raubten alle, plünderten alle, einer be-
gehrte das Haus, der andere den Acker, die Sieger hatten weder Maß noch Beschei-
denheit und begingen hässliche und grausame Verbrechen an den Bürgern.
Huc accedebat, quod L. Sulla exercitum, quem in Asia ductaverat,
quo sibi fidum faceret,
contra morem maiorum luxuriose nimisque liberaliter habuerat.
Hier kam es hinzu, dass L. Sulla das Heer, welches er in der Provinz kl.-Asien befeh-
ligte, um seine Treue zu sichern, gegen die alten Sitten ausschweifend und allzu frei-
gebig behandelt hatte.
Loca amoena, voluptaria facile in otio ferocis militum animos molliverant:
Liebliche, genussreiche Landschaften hatten während der freien Zeit die Gemüter
der Soldaten leicht verweichlicht.
3. Ibi primum insuevit exercitus populi Romani amare, potare, signa, tabulas pictas,
vasa caelata mirari, ea privatim et publice rapere, delubra spoliare,
sacra profanaque omnia polluere.
Da erstmals gewöhnte sich das Heer des röm. Volkes ans Lieben und Saufen, sie
bewunderten Statuen, Gemälde, ziselierte Gefäße und raubten diese aus Privathäu-
ser und öffentliche Gebäuden, sie plünderten Heiligtümer und schändeten alles Ge-
weihte und Ungeweihte.
Igitur ii milites, postquam victoriam adepti sunt, nihil reliqui victis fecere.
Also ließen diese Soldaten nichts den Besiegten übrig, nachdem sie den Sieg errun-
gen hatten.
Quippe secundae res sapientium animos fatigant:
Freilich machte das Glück die Gemüter der Klugen schwach:
Ne illi corruptis moribus victoriae temperarent.
Wie hätten da jene mit ihren verdorbenen Sitten im Sieg Maß halten können?